Warum Undankbarkeit gut ist
Ich mache mich jetzt unbeliebt. Weil dieser Artikel ein Plädoyer für Undankbarkeit ist.
Mein inneres Teufelchen wurde durch ein Bild aktiviert. Das Bild übertrug die Botschaft, dass wir uns statt zu entschuldigen bedanken sollten. Also z.B.
„Entschuldigung, dass ich immer zu spät bin“ wird zu „Danke, dass du auf mich wartest.“
„Entschuldigung, dass ich so sensibel bin“ wird zu „Danke, dass du mich so akzeptierst, wie ich bin“.
Im ersten Moment gefiel mir das gut. Vor allem aus dem Blickwinkel, dass sich Frauen in der Tendenz zu oft entschuldigen, woraus sich die Bewegung und der Hashtag #sorrynotsorry entwickelten. Im zweiten Moment rührte sich eben besagtes Teufelchen in mir. Warum das so ist, zeigen diese drei Kurzgeschichten (Alle habe ich persönlich erlebt).
Dankbarkeit in Action
Andrea tritt an den Schreibtisch von Carolina, die sehr im Stress ist. Andrea fragt Carolina um Rat für ein Projekt. Carolina stoppt in ihrer Arbeit, gibt ausführlich Antwort…..und bedankt sich am Schluss. Kennst du das? Personen, die sich bedanken, wenn sie etwas für dich machen?
Chris sagt auf die Frage, ob er seinen Job mag: „Es ist langweilig geworden - immer das Gleiche. Aber das ist eine Luxusfrage, die wir uns in unseren Breitengraden stellen können. Andere haben gar nie die Chance dazu. Wir sollten dankbar sein, für das, was wir haben.“
Ähnliche tönt es bei Erika, die aktuell in Teilzeit arbeitet und bzgl. Bürozeiten sehr flexibel ist. Dies hilft ihr, ihren Job und ihr Familienleben unter einen Hut zu bringen. Eigentlich entspricht der Job nicht ihren Werten und sie wünscht sich eine berufliche Neuorientierung. Ihr Umfeld sagt dazu: „Was willst du, sei doch für die Teilzeit und Flexibilität dankbar. Wo kriegst du das denn nochmals“
Plädoyer für Undankbarkeit
Bevor ich das Teufelchen aus dem Sack lasse, will ich klarstellen, dass ich Dankbarkeit einen wunderbaren Wesenszug finde. Dankbarkeit hilft, zufriedener im Leben zu sein, die kleinen und grossen Dinge zu schätzen, die wir - grad in unseren Breitengraden - haben. Ich schreibe jeden Abend 3-5 Dinge auf, für die ich dankbar bin. Und das empfehle ich dir auch.
Aber bei obigen Beispielen frage ich mich - und jetzt dich -, ob diese Dankbarkeit nicht mangelnder Selbstwert, Bequemlichkeit und Kleinhalten ist. Hier sind meine Überlegungen:
Selbstwert: Muss Carolina dankbar sein, wenn sie Andrea hilft? Warum ein Danke, statt ein "Bitte schön, gern geschehen“? Welchen Wert misst Carolina ihrer eigenen Arbeit und Zeit bei?
Selbstwert und Bequemlichkeit: Darf Chris sich nicht erlauben, einen erfüllenderen Job zu suchen, nur weil andere diese Möglichkeit nicht haben? Was nützt es den anderen, wenn er gelangweilt und unzufrieden ist? Welchen Wert gesteht Chris seiner beruflichen Zufriedenheit zu? Hindert ihn die vermeintliche Dankbarkeit daran, nach einem neuen Job zu suchen?
Kleinhalten: Ja, es ist herausfordernd, Teilzeit und Flexibilität zu finden. Aber herausfordernd ist nicht unmöglich, wie immer mehr gute Beispiele zeigen. Warum fordert Erika’s Umfeld Dankbarkeit statt sie zu ermutigen und zu unterstützen, sich einen Job zu suchen, der mehr ihren Werten entspricht und die nötige Flexibilität bietet?
Wenn also Dankbarkeit dazu dient, mangelnder Selbstwert, Bequemlichkeit und Kleinhalten zu kaschieren, dann plädiere ich für Undankbarkeit.
Dann plädiere ich
für mehr Selbstbewusstsein und Selbstwert
für mehr Mut, Neues zu probieren und aus der Komfortzone zu kommen
für mehr Unterstützung und Ermutigung
Wie siehst du das? Ich freue mich über deine Meinung in den Kommentaren.
Ach ja, es gibt heute viele Menschen, die immer mehr wollen und undankbar dem Leben gegenüber sind. Diese meine ich hier nicht!
Das Teufelchen fragt ketzerisch: „Muss ich dankbar sein, dass man mich so akzeptiert wie ich bin? Ist das nicht ein Menschenrecht?"